RussenLiebe

Leseprobe

1.
Freitag, 11. März
Er hatte einen Fehler gemacht; so viel war ihm klar. Aber welchen? So oft er auch den Abend Revue passieren ließ, er fand keinen Grund, der ihn als Zielperson auf das Radar der Typen hätte bringen können, die ihn verfolgten. Hatte die Vergangenheit ihn eingeholt? Nach so langer Zeit? Ausgeschlossen war das nicht. Schließlich hatte er jeden Tag damit gerechnet, denn seine Feinde waren von dem Kaliber, das nichts vergisst und ein Ziel bis in alle Ewigkeit verfolgte, wenn es sein musste. Doch das spielte im Moment keine Rolle. Für ihn ging es nur noch darum, am Leben zu bleiben.

Wussten seine Verfolger, wohin er wollte? Falls ja, dann würden sie ihm dort auflauern. Falls nicht, war das seine einzige sichere Zuflucht. So oder so, er hatte nur diese eine Chance. Leider kannte er sich in dieser Stadt nicht aus; sonst hätte er vielleicht eine Abkürzug oder überhaupt einen Weg abseits der Straßen gekannt, um an sein Ziel zu kommen. Dem war aber nicht so, also musste er improvisieren.

Er rannte die Straße hinunter bis zur nächsten Kreuzung und sah auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Araltankstelle, an der er am Abend vorbeigekommen war. Rechts daneben befand sich ein Fußweg zu einer Brücke. Hieß sie nicht „Teufelsbrücke“? Das passte zu seiner Situation. Immerhin führte der Weg zum Wasser. Wenn er alles richtig in Erinnerung hatte, musste er vor der Brücke nach links laufen und immer am Wasser bleiben, um an sein Ziel zu kommen. Am Ende des Hafenbeckens rechts über einen Haufen Gleise, auf denen so spät am Abend zum Glück keine Züge fuhren.

Er rannte weiter. Ein Auto brauste heran und bremste quietschend vor den Pollern, die den Fußweg von der Straße abgrenzten. Er warf einen Blick über die Schulter. Der Wagen setzte zurück und raste links die Straße hinauf. Seine Verfolger, ohne jeden Zweifel. Offenbar wollten sie ihm den Weg abschneiden. Mit etwas Glück glaubten sie, er wolle über die Brücke auf die andere Seite des Kanals gelangen. Wollte er, aber nicht über die Brücke.

Er lief weiter und war einmal mehr dankbar dafür, dass er sich ständig fit hielt. Bis zu seinem Ziel mussten es noch etwa anderthalb Kilometer sein, vielleicht weniger. Die schaffte er locker.

Als er das Ende des Hafenbeckens erreicht, die Gleise überquert hatte und über die Leitplanke auf den Seitenstreifen einer Straße geklettert war, blieb er stehen, um sich zu orientieren und Atem zu schöpfen. Er erkannte die Ecke wieder, obwohl es dunkel war und nur die Straßenlaternen Licht spendeten. Seine Fähigkeit, genau zu beobachten und sich Wege zu merken, die er benutzt oder auf einem Stadtplan gesehen hatte, zahlte sich immer wieder aus. Ein Stück nach links laufen, dann schräg geradeaus. Noch ungefähr dreihundert Meter, dann hätte er es geschafft.

Ein Auto näherte sich von rechts. Als die Scheinwerfer ihn erfassten, beschleunigte es. Scheiße, sie hatten ihn entdeckt! Nirgends gab es Deckung, die er rechtzeitig hätte erreichen können, bevor der Wagen heran gewesen wäre. Und vor einem fahrenden Auto auf einer Straße wegzulaufen, die keinerlei Deckung bot, war der sicherste Weg in den Tod.

Er sprang zur Seite, als der Wagen Anstalten machte, ihn zu rammen, und zog sich auf ein unbebautes Gelände neben der Straße zurück. Hier hatte er genug Bewegungsfreiheit, wenn auch leider keine Deckung. Noch bevor das Fahrzeug zum Stehen kam, sprangen die ersten Insassen heraus, die anderen folgten Sekunden später. Fünf Gegner. Bewaffnet. Mit zwei Pistolen, zwei Messern und einem Baseballschläger. Zu viele, um lebend davonzukommen. Aber er würde sich nicht kampflos abknallen lassen. Zu schade, dass er keine Pistole mehr besaß. Aber in diesem Land mit seinen extrem strengen Waffengesetzen war der Besitz von Schusswaffen für normale Menschen ohne berechtigtes Interesse und entsprechender Erlaubnis illegal. Und sein Beruf gab ihm leider kein „berechtigtes Interesse“ dafür. Tschjort pabjerí!

„Was wollen Sie?“, versuchte er Zeit zu gewinnen, während er seine Optionen abwog. Hätte nur einer von den Kerlen eine Pistole, hätte er eine Chance. Aber die Umstände standen nicht zu seinen Gunsten.
„Dass du stirbst, Arschloch.“
„Warum?“
„Blöde Frage, Idiot.“

Er warf sich zur Seite, als der linke Mann seine Pistole hob, und hechtete auf den rechten Kerl zu, der die andere Waffe in der Hand hielt. Wenn es ihm gelänge dessen Pistole in die Finger zu bekommen ... Ein Schuss krachte, verfehlte aber sein Ziel. Er schaffte es, dem zweiten Mann die Pistole zu entreißen, da dieser nicht mit seinem Angriff gerechnet hatte. Ohne zu zögern schoss er auf den Mann, den er entwaffnet hatte. Er wartete das Ergebnis nicht ab, sondern fuhr zu dem Kerl herum, der den Schuss abgegeben hatte, weil er der Gefährlichste der verbliebenen Gegner war.

Er spürte den Einschlag der Kugel in die Brust, bevor er den Knall des Schusses hörte. Vorbei! Doch er fühlte weder Schmerz noch Angst. Asjenka ... Dann wurde es finster um ihn.

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